Berlin, Germany
May 29, 2013
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) hat eine Untersuchung zu Nachernteverlusten in der deutschen Landwirtschaft vorgelegt. Nachdem zuvor in einer bundesweiten Studie die Kette von der Lebensmittelverarbeitung über Handel und Großabnehmer bis hin zu den Privathaushalten untersucht worden war, ließ das Ministerium jetzt die Urproduktion unter die Lupe nehmen. Das Ergebnis der neuerlichen Untersuchung: Die Nachernteverluste in der Landwirtschaft bewegen sich auf einem relativ niedrigen Niveau, können aber von Jahr zu Jahr zum Teil erheblichen Schwankungen unterliegen. Dies ergab die gemeinsame Untersuchung des Thünen-Instituts, des Max-Rubner-Instituts und Julius-Kühn-Instituts. Bei den einzelnen untersuchten Agrarprodukten liegen die Nachernteverluste zwischen drei Prozent (Weizen) und elf Prozent (Tafeläpfel). Ertrag und Verderb bei pflanzlichen Produkten hängen wesentlich von den Witterungsbedingungen ab. Witterungsbedingte Einbußen in Menge und Qualität sind jedoch kaum beeinflussbar. Dank guter Transport- und Lagerungsbedingungen sind die Verluste nach der Ernte in Deutschland im internationalen Vergleich gering.
Zur Vorstellung der Erhebung sagte Bundesministerin Ilse Aigner: „Jede Tonne, die vom Feld auf den Müll wandert, ist eine zu viel. Auch wenn die Nachernteverluste in der Landwirtschaft in Deutschland eher gering sind – wir müssen jede Möglichkeit nutzen, die Verschwendung wertvoller Ressourcen zu vermeiden. Landwirtschaft und Wissenschaft ziehen hier an einem Strang. Natürlich hat die Landwirtschaft ein hohes wirtschaftliches Eigeninteresse, Verluste entlang der Wertschöpfungskette zu vermeiden. Bäuerinnen und Bauern sind seit jeher darauf angewiesen, Verluste zu verhindern und dafür alle Möglichkeiten und Innovationen auszuschöpfen. Die neue Untersuchung zeigt, wo Ernteverluste entstehen und wie sie vermieden werden können, etwa durch eine weiter verbesserte Lagerung. Die Untersuchung macht auch deutlich, dass die Ressortforschung hier Neuland betreten hat. Es gibt in Europa noch zu wenige Daten über die Entstehung und Vermeidbarkeit von Lebensmittelverlusten. Deshalb wäre es eine sinnvolle Investition in die Zukunft, die Forschung weiter zu verstärken. Deutschland hat bereits wichtige Schritte gemacht und mit seiner vor einem Jahr gestarteten Initiative Zu gut für die Tonne Impulse gesetzt. Deutschland gehört zu den Vorreitern beim Kampf gegen die Verschwendung. Es bleibt unser Ziel, dass alle Staaten der EU bis 2020 die Menge der verwertbaren Lebensmittelabfälle um die Hälfte reduzieren. Diese Zielmarke ist ehrgeizig, aber sie ist erreichbar, wenn auch die anderen EU-Staaten dem Beispiel Deutschlands folgen und breite gesellschaftliche Bündnisse starten.“
Ergebnisse der Studie im Überblick
Die Forschungsinstitute des BMELV haben für ihre Einschätzung vier repräsentative Beispielkulturen ausgewählt, die die pflanzliche Produktion in ihrer Bandbreite abdecken und zudem in ihren Segmenten zu den wichtigsten Anbauprodukten zählen: Weizen (Druschfrucht), Kartoffeln (Hackfrucht), Äpfel als repräsentative Obstart und Möhren als Gemüse. Für diese vier Kulturen haben die Wissenschaftler jeweils die in Deutschland anfallenden Nachernteverluste betrachtet, mit folgendem Ergebnis:
· Weizen: ca. 3,3 % Verlust, das entspricht einer Menge von jährlich rund 820.000 Tonnen im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre.
· Kartoffeln: ca. 5 % Verlust, dies entspricht einer Menge von jährlich rund 537.000 Tonnen im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre.
· Tafeläpfel: ca. 11 % Verlust, dies entspricht einer Menge von jährlich rund 98.000 Tonnen im Wirtschaftsjahr 2010/11.
· Speisemöhren: ca. 4,2 % Verlust, dies entspricht einer Menge von jährlich rund 22.000 Tonnen im Wirtschaftsjahr 2010/11.
Für die Studie erfasst wurde das Erntegut, das unwiederbringlich verloren geht, etwa durch Verderb oder Totalverlust, und das keiner alternativen Verwendungsmöglichkeit zugeführt werden kann. Agrarprodukte, die zum Beispiel als Futtermittel oder zur Energieerzeugung genutzt werden oder die von vornherein als Dünger auf dem Feld bleiben und so gar nicht erst in den Lebensmittelkreislauf gelangen, sind in der Studie nicht erfasst. Ebenfalls nicht einbezogen sind Produkte, die wegen der hohen Anforderungen des Handels nicht in den Verkauf gelangen. Diese werden ebenfalls anderweitig verwertet, indem sie der Lebensmittelindustrie (z.B. für die Saftherstellung) zugeführt oder für andere agrarische Zwecke (z.B. Verfütterung) verwendet werden.
Ursachen für Verluste
Als Hauptursachen für Verluste haben die Einrichtungen der Ressortforschung vor allem Schädlings- oder Krankheitsbefall sowie falsche Lagerung identifiziert, was im Ergebnis zu Verderb durch Fäulnis oder zu Frischmasseverlusten durch Atmung und Verdunstung führt; pflanzliche Produkte verlieren durch die Lagerung an Gewicht, weil während der Lagerzeit Wasser verdunstet. Bei Weizen könnten durch gezielte Investitionen in bessere Lagerungssysteme die Verluste um fünf bis sechs Prozent reduziert werden. Bei Kartoffeln können Verluste durch schonendere Ernte- und Aufbereitungsverfahren sowie eine Optimierung der Lagerbedingungen (Temperatur, Luftfeuchte) auf ein Minimum reduziert werden. Bei Möhren können die Verluste laut Studie zum Beispiel durch eine Optimierung von Erntemaschinen für eine schonendere Ernte sowie durch verbesserte Lagerräume eingegrenzt werden. Da Äpfel weit verderblicher sind als die anderen untersuchten Produkte, ist die Verlustrate dort mit Abstand am höchsten. Durch eine energieaufwändige und kostenintensive Lagertechnik (CA-Lager) ist es in den vergangenen Jahren bereits gelungen, die Verluste zu reduzieren.
Ein entscheidender Faktor bleibt die Witterung. Vergleicht man die Erntebilanzen der letzten Jahre, sind vor allem bei Getreide große Unterschiede zu erkennen: 2011 wurde bei der Erntemenge das langjährige Mittel um fast zehn Prozent verfehlt. Der Grund waren widrige Witterungsverhältnisse. Diese haben sich nicht nur auf die Menge, sondern auch auf die Qualität der Ernte ausgewirkt. Von der Qualität hängt wesentlich die weitere Verwendung der Ernteprodukte ab. So kann ein Landwirt zu Beginn der Saison weder genau sagen, wie viele Tonnen er ernten wird, noch ob die Ernteprodukte letztlich als Lebensmittel oder etwa als Futtermittel weiterverarbeitet werden können. Zu viele nicht vorhersehbare Faktoren wie der Witterungsverlauf während der Vegetation oder Schädlingsbefall wirken sich auf das Ernte-Ergebnis aus – aber auch das Konsumverhalten der Verbraucher und damit die Nachfrage der Weiterverarbeiter beeinflussen am Ende die Art der Verwertung. Entsprechend schwierig sind generelle Aussagen zu den jährlichen Verlusten im Bereich der Urproduktion. Die Studie zeigt anhand von konkreten Beispielen, dass die Bilanz von Erntejahr zu Erntejahr sehr unterschiedlich ausfallen kann und mit welchen Faktoren dies zusammenhängt.
Handlungsfelder für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft
· Wie die Studie bestätigt, sind gute Lagerbedingungen ein entscheidender Faktor bei der Verringerung von Ernteverlusten. Daher unterstützen Bund und Länder die Landwirtschaft in Deutschland bei der Optimierung ihrer Lagermöglichkeiten. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) werden landwirtschaftliche Unternehmen bei betrieblichen Investitionen und auch Unternehmen im Bereich der Verarbeitung und Vermarktung unterstützt. Die jüngsten Beschlüsse zur Neuausrichtung der GAK ab 2014 ermöglichen ein Fortbestehen der Möglichkeit der Förderung zum Bau klimatisierter Lagerräume für Obst- und Gemüse, allerdings unter der Voraussetzung, dass die von den Bundesländern vorgegebenen Anforderungen an den Ressourcenschutz eingehalten werden.
· Während der Großteil der Nahrungsmittelverluste in Industriestaaten wie Deutschland bei Endverbrauchern und Großabnehmern entsteht, fallen in Entwicklungs- und Schwellenländern die Verluste vor allem zwischen Ernte und Handel an. Nach Schätzungen gehen 40 Prozent aller Nahrungsmittel in den ärmsten Ländern der Welt bereits auf dem Weg zum Konsumenten verloren, vor allem wegen unzureichender Lagerung und Verpackung sowie fehlender Möglichkeiten zum Transport und zur Kühlung. Allein in der von Hunger und Unterernährung besonders betroffenen Region Subsahara wird der Verlust laut FAO auf über 150 Kilogramm pro Mensch und Jahr geschätzt. Das BMELV hat seine Aktivitäten verstärkt, um gemeinsam mit der FAO Investitionen in die Landwirtschaft in Entwicklungsländern voranzutreiben. Vor diesem Hintergrund finanziert das BMELV weltweit verschiedenste Projekte zur Ernährungssicherung, etwa in Afrika. Nach Einschätzung der Welternährungsorganisation FAO wird bis zum Jahr 2050 die Weltbevölkerung auf neun Milliarden Menschen wachsen. Derzeit leiden etwa 870 Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung.
· Neben Investitionen in moderne Technik und Technologien ist die Forschung ein Schlüssel für den Schutz der Ressourcen: Mit dem wissenschaftlichen Knowhow der Ressortforschungseinrichtungen unterstützt das BMELV die Landwirte im In- und Ausland bei der Verringerung von Lebensmittelverlusten. Arbeiten und Ergebnisse der Bundesinstitute dienen auch der Verbesserung von Pflanzen- und Vorratsschutz in Entwicklungsländern. Zwei Beispiele von vielen: Das Thünen-Institut beobachtet, wie sich der fortschreitende Klimawandel einerseits auf die Böden und andererseits auf Schadorganismen wie Unkräuter oder Insekten auswirkt. Mit der Mitarbeit an der internationalen Datenbank APHLIS (African Postharvest Losses Information System) trägt die nachgeordnete Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) dazu bei, verlässliche Daten über Nachernteverluste zu generieren.
· Auf EU-Ebene bleibt die Abschaffung aller Vermarktungsnormen und deren staatliche Kontrolle das Ziel. 26 von insgesamt 36 spezifischen Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse sind bereits abgeschafft worden, zum Beispiel für Möhren und Speisekartoffeln. Die zehn noch bestehenden spezifischen Vermarktungsnormen – für Tomaten, Salate, Paprika, Äpfel, Birnen, Pfirsiche und Nektarinen, Erdbeeren, Tafeltrauben, Zitrusfrüchte und Kiwi – sollten ebenfalls abgeschafft werden. Normen dürfen kein Vorwand sein, Agrarprodukte zu vernichten.
· Während staatliche Normen in den vergangenen Jahren abgeschafft wurden, haben Großabnehmer wie der Einzelhandel unterschiedlichste eigene privatrechtliche Normen bzw. Handelsklassen etabliert. Das BMELV setzt sich dafür ein, dass der Handel in Deutschland auch Agrarprodukte mit kleinen Schönheitsfehlern (so genannte „misfits“), die private Handelsnormen nicht erfüllen, in seine Sortimente aufnimmt. Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher sind bereit, nicht nur makellose Agrarprodukte zu kaufen, weil sie wissen: Die Natur ist nicht genormt. Ob krumm oder gerade, rund oder verzweigt – die Form verändert nicht den Geschmack.
· Das BMELV will die regionale und direkte Vermarktung stärken undtritt dafür ein, dass Verbraucher beim Einkauf regionale Produkte besser erkennen können. Die regionale Herkunft ist für Konsumenten mittlerweile ein wichtiges Merkmal. Derzeit findet jedoch keine einheitliche Handhabung der Kennzeichnung „aus der Region“ statt. Deshalb lässt das BMELV mit dem neuen „Regionalfenster“ gerade eine freiwillige, zuverlässige und transparente Kennzeichnung für regionale Produkte in Deutschland erproben. Die Regionalvermarkter zu stärken bedeutet: kürzere Transportwege, weniger Transportschäden und weniger Verlust.
Eine erste Zwischenbilanz der Initiative „Zu gut für die Tonne“ finden Sie hier:
www.bmelv.de/SharedDocs/Standardartikel/Ernaehrung/Wert-Lebensmittel/ZuGutFuerDieTonne/ZgfdT_ZwischenbilanzMai2013.html